Oder: Die Einsamkeit im Alter. Big uff.
Es war ein ruhiger Mittwoch Morgen auf Schicht in der Bahnhofsmission Bielefeld als Bufdi an einem Mittwoch im Dezember 2018 oder 2019. Wir waren zu Dritt im Frühdienst, die „Chefin“, also hauptamtliche Leiterin der BM war auf Fortbildung außer Haus. Die zwei Ehrenamtlichen erfahren und beide länger bei der BM aktiv als ich. Als der unverfängliche Anruf kam.
Eine ältere Dame rief an, sie hätte einen Christstollen gebacken, den sie zu Weihnachten ganz gewiss nicht ihrem Kind vorsetzen könne. Eine ganz wichtige Zutat fehlte, und das würden der Sohn und seine Gattin, die zu Weihnachten nach Besuch kämen, ja gar nicht gutheißen. Ob sie den denn der Bahnhofsmission spenden könne, man müsste ihn nur abholen.
Restrospektivisch gesehen eigentlich ein hygienisches NoGo, unverpackte, gar selbstgebackene Lebensmittel letztlich weiterzugeben, aus Gründen, aber aus damaliger Perspektive eher zweitrangig. Die beiden Kolleg*innen gefragt, ob es in Ordnung sei, den Posten zu verlassen, um eben den vermeintlich versauten Christstollen abzuholen. Mit den Okay von Beiden also auf den Weg gemacht.
Was folgte, war eigentlich schon irgendwie vorher klar, das heißt, ich hätte es mir denken können: Der vermeintlich missglückte Christstollen war zweitrangig. Die alte Dame war schlicht und ergreifend einsam und brauchte jemandem zum Reden.
So saß ich locker zwei Stunden bei der Dame im Wohnzimmer, lehnte erfolgreich zwei Kaffeeangebote ab, und hörte ihrer Lebensgeschichte, der ihres verstorbenen Ehemannes und der ihres Sohnes zu und merkte, je länger und weiter sie abschwiff: Die Dame, so stolz sie über den Werdegang ihres Nachkommens war, musste einfach furchtbar einsam sein.
In den kurzen Momenten, in denen ich zu Worte kam und von mir und meinen zukünftigen beruflichem Werdegang berichten konnte, antwortete sie stets: „Einfach machen.“ So kurz diese Aussage, so tiefgängig ist sie. Und wer weiß, vielleicht hätte ich mich nicht auf den Ausbildungsplatz zum Pflegefachmann bei Bethel beworben, wenn dieses „Einfach machen.“ nicht nachhallen würde.
Kurz nach dem Aufeinandertreffen hab ich mich auf Twitter selbst gefragt, ob ich denn der alten Dame eine Weihnachtskarte als Dank schreiben solle – und ich glaube, der gute Oeyni, also Lars, war es, der darauf mit den Worten der alten Dame „Einfach machen“ antwortete.
Als ich die Wohnung der Dame verließ, war mir fast zum Heulen zumute. Die Dame ist ja nicht die einzige Rentnerin, die so einsam ist. Die einen Anruf des Sohnes zu ihrem Geburtstag schätzt und weiß, warum er zu diesem Tag nicht vor Ort sein kann. Zu dessem Besuch zu Weihnachten also der Christstollen absolut perfekt sein muss. Die schlichtweg einfach mehr soziale Kontakte haben müsste.
So mulmig ich also an dem Tag mit dem Christstollen, von dem die Gäste der Bahnhofsmission ein Stück bekamen,, zur Bahnhofsmission zurückkam, so froh war ich auch, der alten Dame zumindest einen Vormittag versüßt zu haben. Auch wenn es zu traurg ist, dass die Dame so einsam ist.